Wo es geschieht

Der Bamberger Domplatz gilt als einer der schönsten Plätze Europas und wird von drei Gebäuden dominiert: vom Dom natürlich, der 1237 eingeweiht wurde (nach dem zwei kleinere Fassungen dem Feuerfraß zum Opfer gefallen waren), der Neuen Residenz, die zu Ende des 17. Jahrhunderts als prunkvoller Empfangs- und Wohnraum der Fürstbischöfe fertig gestellt wurde und schließlich der „Alten Residenz“. In ihr wurde in den Jahrhunderten zuvor Hof gehalten. Sie war Stützpunkt für umherziehende Herrscher, die zur Pflege ihrer Regierungsgeschäfte immer wieder die Reise durchs Reich antreten mussten, denn eine Hauptstadt gab es noch nicht. Besser bekannt ist sie deshalb unter dem Namen „Alte Hofhaltung“.

Zu Beginn des 11. Jahrhunderts als kaiserlicher Palas, als Festsaal und Wohnraum erbaut, verbirgt sich gleich rechts, neben dem Eingangsportal und hinter dem ehemaligen Torwärterhäuschen liegend, die Katharinenkapelle, ein kleines ehemaliges Bethaus, das – wie die gesamte Stadt – dem unbarmherzigen Lauf der Geschichte unterworfen war und viele Veränderungen erfuhr.

Damals
war sie die erste Kapelle des ersten Bischofs im neu gegründeten Bistums Babenberg und gilt deshalb als der älteste Raum des Weltkulturerbes. In ihren ursprünglichen Teilen stammt sie noch aus der Zeit Kaiser Heinrichs II und lag am nördlichen Ende seines Palas. Bereits vor fast 1000 Jahren also diente sie als Hauskapelle des Bischofs, eingeweiht von Papst Benedikt VIII im Jahre 1020.

Nach einem verheerenden Brand im Jahre 1185 wurde sie umgebaut, die halbrunde Apsis im oberen Bereich abgebrochen und der Chorraum höher gelegt. Eine Zwischendecke wurde eingezogen und das Gebäude in ein oben liegendes Kirchenschiff und einem darunter liegenden Raum unterteilt. In dieser Zeit übrigens verändert sich auch die Patronatenschaft und der Name „Katharinenkapelle“ wird erstmals erwähnt. Sie lag jetzt sozusagen im ersten Stock. Auf diesen wurde – vermutlich im späten 14. Jahrhundert – ein zweigeschossiger Wachturm mit Wohnräumen und darüber holzverschaltem Obergeschoss errichtet, die sogenannte Hohe Warte.

Der Raum unter der Kapelle wurde zu Beginn des 15. bis möglicherweise ins 17. Jahrhundert hinein als Gefängnis genutzt. Die Grundmauern der engen Zellen sind noch heute zu sehen und Gravuren im Sandstein zeugen von manch hartem Schicksal. Bedeutendere Gefangene, wie der wegen Hexerei angeklagte Kanzler Georg Haan, waren allerdings nicht in der dunklen Enge inhaftiert, sondern zwei Stockwerke darüber im Wachturm der Hohen Warte. Der Bischof feierte seine Messe genau dazwischen.
Durch einen abermaligen Brand im Jahre 1487 wurden die oberen Geschosse der Hohen Warte in Mitleidenschaft gezogen und erhielten daraufhin einen Fachwerkaufbau mit Erkern und Ecktürmchen im Dachbereich.

Während des Dreißigjährigen Krieges blieb Bamberg bis 1631 verschont. Dann aber besetzten die Schweden die Stadt und in der Alten Hofhaltung wurden Truppen einquartiert. Unter Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn war sie zu Ende des 17. Jahrhunderts wiederholt vom Abbruch bedroht, denn nach seinem Wunsch sollte sie weichen, um die Neue Residenz mit einem weiteren Flügelbau vollenden zu können. Allerdings ging ihm das Geld aus. Fünfzig Jahre später, im Siebenjährigen Krieg von 1756-63, wurde Bamberg von den Preußen besetzt und wiederum quartierte sich Militär in die Hofhaltung ein und freie Ecken wurden für die Pferde genutzt.

Immer stärker auftretende Bauschäden führten schließlich zu erheblicher Baufälligkeit. Deshalb beantragte die Hofkammer am 4. Juli 1777 den Abbruch der fünfgeschossigen Hohen Warte, da deren „Einsturz mit Erschlagung mehrerer Personen zu beforchten stehe“. Im selben Jahr noch begann die Abtragung der oberen Stockwerke bis auf Höhe der Katharinenkapelle, die bis heute nur mit einem Notdach gedeckt ist. Auch der größte Teil des Palas und das daran anschließende Fachwerkgebäude wurden abgerissen und heute ragt das herrliche Renaissancegebäude des Ratsstubenbaus einsam zum Himmel – ohne den Hintergrund und die umstehenden Gebäude, aus denen es einst erwuchs.

Als Folge der napoleonischen Zeit änderten sich durch die Verweltlichung die Besitz- und Herrschaftsverhältnisse tiefgreifend. Im November 1802 musste Fürstbischof Buseck die Regierungsgeschäfte an Kurfürst Maximilian von Bayern abtreten, weil dieser den französischen Kaiser mit 30.000 Mann Fußvolk unterstützt hatte. Der bayerische Staat erhielt die Neue Residenz, die Alte Hofhaltung und damit auch die Katharinenkapelle überantwortet.

Heute
steht die Kapelle unter der achtsamen Fürsorge der Bayerischen Verwaltung der Schlösser, Gärten und Seen, die sich mit gebotener Sorgfalt um Pflege und Erhalt der historischen Denkmäler bemüht. Seit mehr als zweihundert Jahren nun ist sie ein säkularer Raum und keine Messe mehr wird in ihr gefeiert.

Nach langer Verschlossenheit wurde sie im Mai 1998 nach einer gelungenen Renovierung wieder für Führungen zugänglich. Immer noch atmet sie den Hauch großer Geschichte. Sie ist ein Kleinod von schlichter Eleganz, wie geschaffen jetzt für eine neue Nutzung und einen neuen Anfang. Denn obwohl die Gebete in ihr schon lange verstummt sind, ist sie als Zeugin geblieben und Teil der Chronik eines gesamten Jahrtausends.

Und hier schließt sich der Kreis: dieses bewegende Protokoll nämlich wird seit nunmehr beinahe zwanzig Jahren – als zeitgenössisches Schattentheater inszeniert – in den Sommermonaten genau dort erzählt, wo es einst auch begann: in der kleinen Kapelle. Viele interessierte Zuschauer strömen wieder hinein und schätzen die Anmut und stumme Beredtheit des Ortes. Ihre Blicke wandern umher und – wie vielleicht auch damals schon – weben sich ehrfürchtige Augenblicke in die Gegenwart mit ein.